Texte + Gedichte: Nervenklinik I-IV (10/1965) - hockel net

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Texte + Gedichte: Nervenklinik I-IV (10/1965)

Person > Persönlicheres > Gedichte und Texte


Nervenklinik I


Grauer Nebel. Aus dem Garten der Ton
Leiser Fontäne. Die Lichter abgedunkelt,
Nacht. Ruhiger Atem. Dazwischen
Die Seufzer.

Depressionen, Ängste, Verzweiflungen:
Gedankenschwärme sammeln sich
In dunklen Ecken.

„Christus bin ich
mein Mund ist – oh – so trocken.
Braun klingen Glocken.
Ich liebe mich“

Die Einzelnen wälzen sich in den Betten
Zusammen mit dem Schnarchen
Gibt das eine Melodie.
Vergitterte Fenster.
An manchen Betten hohe Seitenwände.
Anfall steht zu erwarten.

„Warum weckt mich niemand, ich falle!
Die Spinne, die Spinne.
Mein Arm ist eingefrohren, helft!
Es ist doch lächerlich, dies zwölfte Auge.“

Der Nachtpfleger malt
Leise summend ein Bild.
Garmisch unter Föhnhimmel.
Drinnen kann einer nicht schlafen.
Er will gerne auf die Toilette.
Kann nicht aufstehen,
da er gefesselt ist!

„Wenn ich mich nur entsinnen könnte!
Geliebte verzeih mir. Meine Frau lebt.
Das Kind mit den drei Köpfen.
Ach die Welt lohnt nicht zu leben.“

Der arme alte Mann lächelt,
er spürt, dass der Finger,
der operierte Mittelfinger
wieder beweglich sein wird.

„Links zwei drei vier, Links…
Mein Leben ist verpfuscht, die Mäuse…
Das Abendrot will mich trinken…
Oh Elend meiner Armut…“

Einer schnäuzt sich.
Die Uhr tickt laut
Der Atem
Die Nacht wird bald vorüber sein.


Curd Michael Hockel
3.10.1965 (Entwürfe IV)




Nervenklinik II


Der andere Pfleger isst Käse,
beim ersten war es Wurst.
Die Nächte sind gleich.
Ähnlich?

Dunkelheit und ein Schweigen:
Betont durch das Übliche –
Schnarchen, Röcheln, Stöhnen.

Einer kommt und hat Zahnschmerzen.
Gib ihm eine Schlaftablette.
Ruhe.

Droben sind Schritte.
Schwere Station.
Viel Krebs, Tumor und Tripper.
Fast täglich „Exitus“.
Das Leben
Geht an der Klinik vorbei.

Oktoberfestgesänge
Klingen nicht mehr herüber.
Die Zelte sind abgebrochen.

Gott liegt in Bett 24 und
Schnarcht.
Der Admiral hat die Bettdecke
Weggestrampelt.
Die Schwester von Peter Kraus
Pinkelt ins Bett.

Mein Leben:
Spiegelglasscherben in den Augen
Wahnsinniger.

Ein Lachen tropft vorbei an ihnen:
Dort lag er
Er hatte sich mit einem Taschenmesser,
nach einem langen Gespräch
über Blumenzucht
den Bauch aufgeschnitten.
Wurstwaren hingen heraus.

Und draußen Kastanien.
Ab und zu Motorlärm.
Benn lebte in Berlin.
Selbst angeknackt von Depressionen.
Librium hätte geholfen.
Hilft immer.
Wenn mann sich nicht schon umbrachte.
Siehe oben.

Der Abendwind lässt sie fallen,
Kastanienblätter.
Das Becken des Brunnens wird rot davon,
fließt über.
Der Arzt sagt
Noch vierzehn Tage
Werden sie dableiben
Dann können sie gehen.
Die Mutter fragt täglich.

Unten ist auch eine schwere Station
7 Jahre als ist der Krebskranke,
das Kind.
Im ganzen Körper Metastasen
am ganzen Körper bestrahlt.
Krebs.
Geißel der Menschheit?
Nein, der Menschen!

Und die gleiche Nacht.
Fast.
Ein Exitus von Gestern ist nicht mehr dabei.
Nach 14 Tagen kommt
Die Überweisung
Nach Haar: unheilbar, gefährlich.

Die Pfleger lesen
Oder schreiben Gedichte.
Gedichte die schön sind
Und vom Glauben
Der Liebe
Den Blumen
Handeln.

Gott schläft in Bett 24
Der Admiral schnarcht.
Männerstation.

Curd Michael Hockel
4.10.1965 (Entwürfe IV)




Nervenklinik III


4 Uhr
Minutenzähler.
Ewigkeiten tropfen vom Kirchturm
Gongend, klingend.
Noch zwei Stunden,
dann war’s ein viertel Jahr.

Die Gesichter haben gewechselt
Die Augen auch
Die Masken und Rollen
Getauscht.

Draußen erwacht die Stadt.
In meinem Blut
Schlafen noch zwanzig Depressionen
Zwei Syphilitiker
Acht Schizophrene
Und einige Bündel Neurosen.

Das alte Schattendasein.
Ich glaube mich manchmal
Selber nicht.
Nicht mir
Nicht mich.

Und der Atem geht regelmäßig
Librium wirkt
Oder Neurocil.
Jedenfalls Drogen.
Gezielt sollen sie Heilwirkung haben.

Der Arzt sagt es
Achselzuckend.


Curd Michael Hockel
7.10.1965 (Entwürfe IV)




Nervenklinik IV


Diese Nebel. In den Augen
Einiger Kranker
Und über weiten Städten.
Meine Finger zittern
Vor Kälte
Und Erschütterungen
Die Erde dreht sich.

Wälder sind angesiedelt
Dort draußen,
wo die Menschen
ins Grüne leben.
Wälder auch in mir,
aus Staunen
Freuden
Und Verwunderung.

Morgentrott ist Nebel
In vielen Augen,
müde Menschen
gehen zur Arbeit
und sind dabei
manchmal
fröhlich


Curd Michael Hockel
13.10.1965 (Entwürfe IV)

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