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ZEITFENSTER

Am 25.Juni 1997 wurde das Psychotherapeutengesetz (PTG) in den Deutschen Bundestag eingebracht. Damit wurde ein bedeutsames Datum festgelegt. Das Gesetz regelte sowohl Qualitätstandards als auch die künftige Versorgungsstruktur. Die künftige Qualität der psychotherapeutischen Leistungen wurde durch die Festlegung von Ausbildungsanforderungen und die Einführung der Staatsprüfung zur Approbation zum Beruf des Psychotherapeuten (mit den beiden Sektoren "Erwachsenentherapie" und "Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie") gesichert - damit wurde die "Grauzone" des heilkundlichen Psychomarktes durch die Öffnung des Arztmonopols erfasst. Für die künftige Versorgungsstruktur schrieb das Gesetz vor, dass Psychotherapeuten ins System der kassenärztlichen Versorgung zu integrieren seien und künftig auch nur nach deren Bedarfsplanung zu Kassenpsychotherapeutensitzen zugelassen werden würden.

Für die große Gruppe hoch qualifizierter vorhandener Psychotherapeuten mussten natürlich Übergangsregelungen der Zulassung gefunden werden. Nach langem Ringen um eine geeignete Formel wurde in dem am 6.3.1998 mit der Zustimmung des Bundesrates beschlossenen Gesetz für die Regelung der Kassenzulassung im Übergang festgehalten, dass eine bedarfsunabhängige Zulassung bekommen kann, wer neben anderen Bedingungen "in der Zeit vom 25. Juni 1994 bis zum 24.Juni 1997 an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen hat."

Damit war der Zeitraum zwischen dem Einbringen des Gesetzes in den Bundestag und den drei Jahren vor diesem Zeitpunkt zu einem "Zeitfenster" geworden, in das die Entscheidung über ein Kassenzulassung außerhalb der Bedarfsplanung ("bedarfsunabhängige Kassenzulassung") hineinverlagert wurde. Der Sinn dieser Regelung war es, vorwiegend bereits in der freiberuflichen Existenzform Psychotherapie betreibende Praktiker zuzulassen und nicht etwa langzeitig als Berater, Klinikpersonal oder Schulpsychologen u.a. tätige Angestellte nun entgegen dem Gemeinwohlerfordernis, das deren Leistung an ihrem bisherigen Dienstort sinnvoll und notwendig machte, anzureizen sich in die gerade geschaffene und in diesem Sinne neue ambulante Psychotherapieversorgung zu begeben.

Die gesetzliche offene Formel war geeignet für alle drei zur Übergangsregelung anstehende Teilgruppen - den langjährig Berufserfahrenen konnte sie als "Opaparagraph" dienen, wenn sie auch nur noch mit ein bis zwei Fällen mit Kassenpatienten "teilgenommen" hatten, den jungen PsychotherapeutInnen, die soeben erst ihre kostspielige, langjährige Ausbildung beendeten reichte es, wenn sie schon mit einem oder zwei Kassenpatienten "an der Versorgung teilgenommen" hatten. Und die große Gruppe der von der Behandlung von Kassenpatienten ganz lebenden Psychotherapeuten (die entweder im Status von "Hilfsärzten" bereits im System der kassenärztlichen Vereinigung integriert waren und ärztliche Leistungen "in Delegation" erbrachten, oder für ihre Patienten mit den Krankenkassen verhandelnd deren Kostenerstattung ihrer Leistung zu Grund legten) hatte mit dieser Formel (wie man meinen möchte) sowieso keine Schwierigkeiten.

Kaum war das Gesetz jedoch verabschiedet, als Herr Schirmer, ein Funktionär der Bundesärztekammer an alle entsprechenden Gremien ein Papier versandte, das künftig seinen Namen trug. In diesem Schirmerpapier wurde der politische Wille eine großzügige Übergangsregelung zu schaffen im Interesse der organisierten Ärzteschaft umgebogen. Aus einem Berufszulassungsgesetz wurde für eine große Zahl von bereits langjährig berufstätigen ein Versorgungsausschluß- Gesetz gemacht: es wurde behauptet, der Gesetzgeber habe den mit der offenen Formel "teilgenommen" beschriebenen Besitzstand nicht ausreichend konkretisiert und sogleich eine "Nachbesserung" angeboten: gemeint sei nur, wer nachweisen könne im Zeitfenster innerhalb von 6 bzw. bei "großzügiger Interpretation 12" Monaten mit 250 Leistungsstunden an der Versorgung teilgenommen zu haben.

Diese interessierte und empörende Umdeutung des Gesetzesinhaltes wurde zunächst von vielen Gerichten im Interesse berufstätiger Kollegen zurückgewiesen (andere übernahmen sofort die ärztliche Rechtsauffassung) - schließlich jedoch setzte sich durch ein Bundessozialgerichtsurteil diese ärztliche Schirmermeinung durch. Damit wurden sowohl langjährige Spitzenkräfte, die sich als Hilfsärzte ins System hatten delegieren lassen ausgeschlossen (da sie beispielsweise mehr Ausbildungsaufgaben übernommen hatten als vorwiegend mit einzelnen Kassenpatienten zu arbeiten - ein in die Presse gelangter Fall dieser Art war die Psychoanalytikerin Thea Bauriedel). Es wurden aber auch andere, die durchaus mit Kassenpatienten gearbeitet hatten, jedoch diese Berufstätigkeit, da sie gesetzlich ungeregelt war, nach eigenen Regeln dokumentiert hatten (z.B. von jeder Sitzung eine Tonbandaufnahme und inhaltliche Notizen angelegt hatten) , schon deshalb ausgeschlossen weil sie die entsprechenden Nachweise nicht in der geforderten Form bringen konnten (die Zulassungsausschüsse ließen über dafür bereitgestellte Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigung sowohl Bescheinigungen der Krankenkassen, als auch Rechnungen und Kontoauszüge die die Zahlungseingänge dokumentierten prüfen um "anerkannte" Leistungsstunden zu berechnen).

Personen, die beide Approbationen anstandslos erhielten und in ihrer beruflichen Existenz zum Teil seit über 30 Jahren Behandler von Kassenpatienten waren, wurden so gezwungen nur noch für Privatpatienten tätig zu sein - und die in den Zulassungsausschüssen mit entscheidenden Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen beförderten diese Entwicklung indem sie den Ärzten jeweils zustimmten.

Das in der Fachdiskussion seither also "Zeitfenster" benannte Skandalon ist unter anderem - zum Beispiel in meinem Fall - die Systementscheidung: "Du bist für Kassenpatienten zu gut, leb Du von Privatpatienten". Dass diejenigen von uns, die irgendwann im Status des "Hilfsarztes" delegierte ärztliche Leistungen zu erbringen begonnen hatten (was ich aus strategisch berufspolitischen Gründen bis zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes abgelehnt hatte) , dies solange noch weiter dürfen, bis auch in der letzten juristischen Instanz ihr Antrag auf bedarfsunabhängige Zulassung abgelehnt worden ist, war ironischer Weise in den Jahren seit 1.1.1999 meine Möglichkeit mit Kassenpatienten weiter abzurechnen, da ich "im letzten Moment" noch diesem "Delegationsverfahren" beigetreten war (Nov. 1998). Ich hatte in die meinungsbildende Diskussion die These eingebracht: "Erlauben zu behandeln heißt nicht verpflichten zu bezahlen" - der Gesetzgeber wollte jedoch diese Verpflichtung schaffen und die Ärzteschaft organisierte dann deren Auslegung. Sie benutzte das so genannte "Zeitfenster" um die Hoheit über die Entscheidung an sich zu ziehen welche Psychotherapeuten ihre Kassenzulassung bekommen würden.
Am 3.12.2003 lehnte das Landessozialgericht meine Klage entsprechend der inzwischen festen Norm zum geforderten Besitzstand ab und versperrte damit den Angehörigen gesetzliche Krankenkassen den weiteren Zugang zur kassenfinanzierten Psychotherapie in meiner Praxis.



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